Trends und Tendenzen bei den Rohstoffen

Globale Entwicklungen und lokale Einflussfaktoren, die Produktion von Rohstoffen ist von verschiedensten Gegebenheiten ebenso abhängig wie die Stabilität der Lieferketten und die Preisentwicklungen. Über den aktuellen Status des Rohstoffmarktes sprachen wir mit Dr. Urte Rietdorf, Geschäftsführerin der Friedrich Platt GmbH in Eberbach sowie Mitglied im Präsidium des VDPB.

Wie ist die Rohstoffsituation auf dem Weltmarkt derzeit, haben sich die Lieferketten nach den Corona-Verwerfungen wieder normalisiert?

Dr. Urte Rietdorf

Die Lieferketten hatten sich durch Corona zum Glück gar nicht so stark verändert wie wir es befürchtet hatten, und haben sich diesbezüglich wieder ziemlich normalisiert. Insbesondere der Bereich der Pinsel- und Bürstenindustrie ist ja insgesamt relativ glimpflich davongekommen, gerade auch im Vergleich zu anderen Branchen.
Viel größere Beeinträchtigungen waren und sind nach wie vor Probleme durch Unwetter wie extreme Dürre- /Regen-/ oder Kältephasen, wirtschaftliche, politische oder bevölkerungsstrukturelle Begebenheiten global, im Herkunftsland und auf der Route zu uns. Da haben wir immer wieder das Problem, dass Stürme Ernten vernichten, Überflutungen Produktionsstätten zerstören oder Unfälle, Taifune oder politische Situationen eine Änderung von Schiffsrouten erzwingen.

Haben sich die Rohstoffquellen während der letzten Jahre – auch unter Corona-Einfluss – verändert, wurden von den Abnehmern neue Quellen gesucht und auch gefunden?

Corona hatte auch hier nur während akuter Lock-Down-Phasen in einzelnen Ländern vorübergehend Einfluss auf Rohstoffquellen. Viel größer sind die Auswirkungen die wir bemerken durch die aktuellen Kriege. Veränderungen, Modifizierungen und Adaptionen in den Rohstoffquellen finden aber kontinuierlich statt. Hier kommt es immer wieder vor, dass einzelne Lieferanten ihre Betriebe aufgeben, mit anderen fusionieren, übernommen werden oder sich Produkte substituieren. Produkte der einen Plantage überaltern, andere sind zu jung, in einigen Ländern sind Arbeiter schwer zu finden, immer wieder werden auch Kunststoffe knapp. Es ist ein ständiger Wechsel und die Probleme in der Gesamtheit über alle Produkte und Länder hinweg sind erstaunlich ähnlich. Der grundsätzliche allgemeine Trend weg von tierischen Materialien zu synthetischen, von lokal zu global und damit oft von hochwertig/langlebig zu billig/kurzfristig erfuhr durch Corona nur eine kurzfristige Stagnation und scheint sich jetzt ungehindert wieder fortzusetzen. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Gibt es Verschiebungen bei der Nachfrage nach natürlichen und nicht-natürlichen Rohstoffen für die Pinsel- und Bürstenproduktion?

Marginal, aber leichte Trends sind durchaus immer wieder zu beobachten. Diese hängen aber viel von den spezifischen Sparten ab, und dort oft von veränderten äußeren Rahmenbedingungen, die primär gar nichts mit unserer Branche zu tun haben. So entstand der Trend weg von Schweineborsten hin zu Kunstborsten daher, dass die Zuchtschweine für die Fleischproduktion mittlerweile nicht mehr so alt werden, dass die Borsten die entsprechenden Längen für Pinsel erreichen. Andere Gründe für Verschiebungen sind z.B. Auflagen einzelner Länder, wenn beispielsweise kein Mikroplastik durch Abrieb von Kunststoffen entstehen darf oder soll und deshalb wieder vermehrt Pflanzenfasern eingesetzt werden. Auch Trends und Vorgaben der äußeren Rahmenbedingungen, in denen die Endprodukte eingesetzt werden, haben Einfluss. Lebensmittelechtheit, Lösungsmittelbeständigkeit, Normierungen etc. seien als Stichworte genannt.
Grundsätzlich ist in den letzten Jahren durchaus ein Markt entstanden, der vermehrt bewusst agieren möchte und auf nachhaltige, regenerative, faire Produkte achtet. Allerdings scheint hier die Priorisierung nicht immer einheitlich und klar zu sein. Insbesondere, wenn sich Kategorien gegenseitig ausschließen: Lokal/global, vegan/tierisch/chemisch-fossil, fair/billig. Ist ein hochwertiger, langlebiger Pferdehaarbesen, der lokal mit heimischem, zertifiziertem Holz produziert wurde, dem veganen aus fossilen synthetischen Kunststoffen hergestellten Besen aus Übersee nun vorzuziehen oder nicht? Das hängt immer sehr stark von den Zielgruppen ab. Die aber durchaus zunehmend Bedeutung bekommen haben, über alle Produkte hinweg, wo ihre nächste Frage direkt anschließt:

Welche Produktbereiche der Pinsel- und Bürstenherstellung (be-)trifft die Diskussion um natürliche und nicht-natürliche/vegane Rohstoffe besonders?

Wenn wir den Markt hier vom Endbenutzer ausgehend rückwärts betrachten, gibt es die Diskussion in allen Bereichen, jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Diskussion um vegane Produkte betrifft insbesondere Bereiche mit sensiblen kulturellen, religiösen, hygienischen und medizinischen Anforderungen und kann hier relativ einfach mehrere Aspekte abdecken. Dies ist insbesondere in der Lebensmittelindustrie und Medizinbranche interessant. Für Endkunden wiederum sind es Bereiche für körpernahe Produkte wie Zahnbürsten oder Haarbürsten und Verbrauchsartikel wie Pinsel. Hier gibt es unterschiedliche Vorlieben. Der eine schwört auf die Wildschweinborstenbürste, der Andere lehnt tierisches Material ab. Das gleiche gilt für Künstlerpinsel, wo hochwertige tierische Fasern nach wie vor einen unglaublichen Qualitätsruf haben.
Industriebürsten hingegen haben häufig Anforderungen durch Normen, Auflagen oder das Einsatzgebiet, die das Material bestimmen.
In häuslichen Bereichen, in denen der Endpreis eine untergeordnete Rolle spielen darf, da Qualität und Langlebigkeit ausschlaggebend sind, wird bei Besen und Bürsten viel mit natürlichen pflanzlichen und tierischen Materialien gearbeitet.
Sobald der Preis eine Rolle spielt, erhöht sich jedoch nahezu überall der Synthetikanteil.

Mit welchen „Begleiterscheinungen“ muss beim Einsatz nicht-natürlicher, sprich veganer Rohstoffe, gerechnet werden, gibt es z.B. beim Thema Abrieb/Mikroplastik Rohstoffe, die Lösungen dafür liefern?

Pflanzliche Rohstoffe, hier Bahia, sind in Qualität und Verfügbarkeit stark von lokalen Einflussfaktoren abhängig. (Fotos: Rietdorf)

Vorneweg: Nicht-natürlich ist nicht gleichbedeutend mit vegan. Grundsätzlich können wir die drei Rohstoffbereiche pflanzlich, tierisch und fossil unterschieden. Und jeder Bereich hat seine Vor- und Nachteile. Pflanzliche Fasern hängen in ihrer Qualität sehr direkt von den klimatischen Bedingungen am Ursprung ab und sind daher Schwankungen unterworfen. Regen, Temperatur, Sonne, Frost, Sturm, Luftfeuchtigkeit, Platz, Alter der Pflanzen, Anbau/Erntegebiet – das alles sind Einflussfaktoren auf das Wachstum der Fasern in Durchmesser, Länge, Flexibilität, Quantität. Gleichwohl haben Pflanzenfasern mitunter Eigenschaften, die synthetisch schwer in ihrer Gesamtheit zu ersetzen sind wie beispielsweise die Beständigkeit gegen Hitze, Säure, Basen, Flexibilität bei hoher Standkraft, Aufnahmefähigkeit von Feuchtigkeit und Schmutz etc. Gleichzeitig können sie Co2 binden und lassen sich gut kompostieren. Allerdings sind sie oft nur mit harter körperlicher Arbeit von Hand zu gewinnen und teils schwer zugänglich zu erreichen. Pflanzenfasern sind unregelmäßig und können von Jahr zu Jahr schwanken. Was beim Endprodukt oft ein Vorteil ist, kann die rein maschinelle Verarbeitung teilweise erschweren. Die meisten Fasern haben spezifische Bedingungen, so dass sie nur in bestimmten Breiten wachsen, müssen daher importiert werden, sind lange unterwegs und in ihren Produktionsbedingungen nicht immer so einfach nach den EU-Standards zu kontrollieren.


Tierische Haare und Borsten haben oft hoch spezifische und dadurch faszinierende Eigenschaften, die synthetisch schwer nachzubilden sind und daher bei sehr hochwertigen Produkten oft nach wie vor die erste Wahl sind. Form des einzelnen Haares/der einzelnen Borste, die Aufnahmefähigkeit, Flexibilität, Feinheit, Fähigkeit zu Binden oder rück zu fetten… 
In vielen Bereichen stellt die Verwertung der Haare oder Borsten im eigentlichen Produktionsprozess eine Nebenverwertung dar. Durch die zunehmende Massentierhaltung, die auf möglichst schnelle Fleischverwertung optimiert wird, sinkt jedoch die Verfügbarkeit, denn viele Borsten und Haare wachsen in der erforderlichen Qualität kaum mehr, sind schwer verfügbar und sehr teuer. Ethische, kulturelle, religiöse und hygienische Bedenken spielen hier auch eine große Rolle. Allein, wenn man bedenkt, dass für Zahnbürsten früher oft Schweineborsten verwendet wurden … Tierische Produkte allein könnten den Markt für Pinsel, Besen und Bürsten nicht mehr abdecken.

Synthetische Fasern sind seit Jahrzehnten zunehmend im Einsatz und ergänzen oder substituieren pflanzliche und tierische Fasern. Sie haben viele Vorteile. Der Übergang von Handarbeit zur maschinellen Produktion setzte eine größere Gleichmäßigkeit von Fasern voraus. Lieferengpässe durch lange Wachstumszeiten der Tiere und Pflanzen entfallen, Wetterbedingungen wirken oft nicht unmittelbar und die Produkte sind oft deutlich billiger. Synthetische Fasern quellen im Gegensatz zu pflanzlichen und tierischen Fasern, Haaren oder Borsten durch Feuchtigkeit kaum auf, was in manchen Anwendungsbereichen gerade bei Pinseln von Vorteil sein kann. Zudem lassen sich Produkteigenschaften durch unterschiedliche Rezepturen variieren. Grundlage sind jedoch oft fossile Rohstoffe. Synthetische Fasern werden aus verschiedenen Komponenten oft global verteilt erzeugt, wodurch sie in ihrer Verfügbarkeit häufig schwanken. Was wiederum Einfluss auf den Preis und die Verfügbarkeit hat. Die Preise hängen stark am Rohölpreis und damit von anderen Faktoren außerhalb der Branche ab. Probleme in einzelnen Produktionsstätten wie z.B. bei Störungen durch Unwetter hatten in der Vergangenheit ebenfalls starken Einfluss auf die Verfügbarkeit und den Preis.
Aufgrund der Zusammensetzung können synthetische Produkte zudem bedenkliche Inhaltsstoffe enthalten wie z.B. Weichmacher. Manche Produkte sind zudem sehr hitzeanfällig, säuren- oder basenanfällig, nicht UV-beständig, verlieren Flexibilität, werden zu weich, spröde oder brechen leicht, wodurch der Einsatzzweck stark limitiert ist.

Alle drei Rohstoffbereiche haben also ihre ganz spezifischen Vor- und Nachteile, die, je nach Einsatz, berücksichtigt werden müssen, weshalb oft das Mischen mehrerer Rohstoffe die einzelnen Vorteile aufsummieren und gleichzeitig Nachteile verringern kann.

Welche Prognose geben Sie für den Rohstoffmarkt, was wird verstärkt nachgefragt, wo wird dies insbesondere eingekauft?

Die Frage nach der Glaskugel…. Prognosen sind wie immer schwer zu geben…. Die Frage ist natürlich auch: in welchem Zeitraum. Sowohl Kunstborsten als auch pflanzliche und tierische Rohstoffe werden in Zukunft ihren Platz finden, je nach Sparte. Kunstborsten sind aufgrund Ihres Preises und leichteren Verarbeitung interessant. Pflanzliche Rohstoffe kommen weiterhin von Drittländern, viele tierischen Haare und Borsten ebenfalls. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Soweit Drittländer nicht durch politische Unruhen oder Klimakatastrophen an der Lieferung gehindert werden, wird die Versorgung stabil bleiben.
Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass sich der bestehende Trend fortsetzt. D.h. eine grundsätzliche Zweiteilung des Marktes in: einen Massenmarkt mit den Kernkriterien billig, kurzlebig, günstiges, reines Plastik, global importiert. Die Produktionsorte wandern dort wohl immer mit den global geringsten Produktionskosten mit, sind aber relativ anfällig für Störungen im System. 
Gleichzeitig denke ich, dass sich ein solider Markt erhält bzw. teilweise wieder etabliert, der gegenteilig auf hochwertige, langlebige Produkte setzt, die fair und nachhaltig mit möglichst kurzen Lieferketten produziert werden. Dieser Markt wird wohl eine Nische bleiben, dafür wahrscheinlich deutlich krisenresistenter.
Aber wie gesagt, Glaskugel …..

www.Friedrich-Platt.de

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