Barrierefreiheitsanforderungen für Websites

Online-Auftritte müssen barrierefrei werden. Aber, was bedeutet dies und gilt dies auch für jede Webseite?Die Vielschichtigkeit juristischer Themen findet sich auch hier wieder. Deshalb sprachen wir darüber mit Alexander F. Bräuer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Partner der Anwaltskanzlei Weiß & Partner, Esslingen.

brushinsights.de: Websites müssen barrierefrei werden, ab wann ist dies Vorschrift und gibt es Übergangsfristen?

Alexander F. Bräuer: Klarzustellen wäre hierzu, dass das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) keine Verpflichtung vorsieht, dass sämtliche Webseiten barrierefrei sein müssen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen nur solche Webseiten barrierefrei werden, die Personenbeförderungsdienste im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr mit Ausnahme von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten betreffen sowie Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr. Letzteres betrifft dann die Webseiten, die elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers die Abschlüsse von Verbraucherverträgen ermöglichen. Nach der amtlichen Gesetzesbegründung sind unter „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ sämtliche Online-Präsenzen für den Online-Verkauf jeglicher Produkte oder Dienstleistungen an Verbraucher zu verstehen.
Es sind also nicht alle Webseiten betroffen, sondern neben den Webseiten für Personenbeförderungsdienste nur solche, über die einem Verbraucher ein direkter Vertragsabschluss angeboten wird. Reine Präsentationsseiten sind daher nicht vom BFSG betroffen.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gilt für die im Gesetz bestimmten Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht bzw. erbracht werden. Übergangsfristen gibt es zwar, diese betreffen aber nicht die Onlineshops.

Unser Gesprächspartner: Alexander F. Bräuer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Er ist Partner der Anwaltskanzlei Weiß & Partner, Esslingen. Seit fast zwei Jahrzehnten ist die Anwaltskanzlei Weiß & Partner auf die Belange des Internetrechts, E-Commerce sowie des Gewerblichen Rechtsschutzes spezialisiert. Die Kanzlei unterstützt Unternehmen insbesondere bei der rechtskonformen Gestaltung von Webseiten und Onlineshops.
www.ratgeberrecht.eu (Foto: Weiß & Partner)

Was bedeutet Barrierefreiheit bei Websites eigentlich, welche Barrieren weisen viele Websites unwissentlich auf?

Der gesetzlichen Regelung folgend, liegt die Barrierefreiheit von Produkten oder Dienstleistungen vor, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sind. Was dies allerdings konkret bedeutet, also welche Anforderungen konkret erfüllt werden müssen, wird im BFSG nicht definiert. Das Gesetz ermächtigt verschiedene Bundesministerien, federführend das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, zum Erlass einer Rechtsverordnung, die die Anforderungen der Barrierefreiheit festlegen soll. Für Dienstleistungen wurden in dieser Verordnung allgemeine Anforderungen festgelegt. Webseiten einschließlich der zugehörigen Online-Anwendungen und auf Mobilgeräten angebotenen Dienstleistungen, einschließlich mobiler Apps, müssen auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Für Onlineshops müssen des Weiteren unter anderem Informationen zur Barrierefreiheit der zum Verkauf stehenden Produkte und der angebotenen Dienstleistungen bereitgestellt werden.
Was allerdings im Sinne des Gesetzgebers als wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust zu verstehen ist, bleibt hier zunächst undefiniert. Um dies in Erfahrung zu bringen, ist ein Rückgriff auf die Richtlinie (EU) 2016/2102 denkbar. Diese legt Barrierefreiheitsanforderungen für Websites und mobile Anwendungen der öffentlicher Stellen, z.B. der Behörden, fest. Konkrete Anforderungen ergeben sich hieraus aber ebenfalls nicht, sodass bis zur Konkretisierung durch offizielle Leitlinien oder gerichtliche Auslegungen auf die Europäische Standard Norm EN 301 549 zurückgegriffen werden kann. Die Norm definiert Anforderungen an die Barrierefreiheit der Informations- und Kommunikationstechnik des öffentlichen Sektors und gilt für diesen Sektor als verbindlicher Standard. Ihre in Ziffer 9 definierten Kriterien spezifizieren die Bedeutung von Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Beispielsweise muss zur Wahrnehmbarkeit für jeden Nicht-Text-Inhalt, der dem Nutzer oder der Nutzerin präsentiert wird, eine Text-Alternative bereitgestellt werden. Für informationstragende visuelle Videoinhalte muss zur Wahrnehmbarkeit eine Audiodeskription bereitgestellt werden. Zur Erfüllung der barrierefreien Bedienbarkeit sollte der Online-Shop auch ohne Maus – also ausschließlich mit der Tastatur – zu benutzen sein. Das Kriterium der Verständlichkeit könnte ggf. nicht erfüllt sein, wenn ein Formular, beispielsweise im Bestellablauf, eine Fehlermeldung erzeugt, ohne daß der Nutzer barrierefrei darüber informiert wird, wie der Fehler zu korrigieren ist. Für die Robustheit wäre erforderlich, dass die in der Norm vorgegebenen technischen Standards eingehalten werden, sodass die vom Nutzer ggf. eingesetzte Hilfssoftware die Nutzung des Onlineshops unterstützen kann.
Legt man die vorstehenden Anforderungen zu Grunde, wird ersichtlich, dass viele Webseiten und Onlineshops unwissentlich Barrieren beinhalten.

Gibt es möglicherweise „versteckte Barrieren“, auf die man besonders achten muss?

Für Nicht-Betroffene ist es sicherlich schwer, sich die Barrieren der Menschen mit Behinderungen zu vergegenwärtigen. Deshalb wird es einige „unbedachte Barrieren“ geben. Eine solche Barriere in einem Onlineshop ist beispielsweise, wenn die Artikelbeschreibungen und Hintergründe nicht stark genug kontrastiert sind. Dann kann es für sehbeeinträchtigte Personen schwierig bis unmöglich werden, diese Texte zu lesen. Gleiches gilt für eine Navigation über die Tastatur. Nicht alle Onlineshops sind bisher so programmiert, dass eine Navigation über die Tastatur erfolgen kann.
 
Gilt die Regelung nur für B2C-Webshops oder umfasst es Webshops insgesamt?

In § 1 Abs. 3 BFSG wird definiert, dass die Barrierefreiheitsanforderungen grundsätzlich nur für solche Dienstleistungen zu erfüllen sind, die für den Verbraucher erbracht werden. Der Verbraucherbegriff wird wiederum in § 2 Nr. 16 BFSG definiert und ist an § 13 BGB angelehnt. Ohne die genaue Definition hier wiederzugeben, kann man die Aussage treffen, dass das BFSG nur die B2C-Webshops betrifft. Um aber als B2B-Webshop zu gelten, muss dieser grundsätzlich eindeutig als solcher ausgestaltet sein und bei Aufruf anschaulich erkennen lassen, dass sich die Angebote ausschließlich an Unternehmer richten und Vertragsschlüsse mit Verbrauchern nicht erfolgen.

Sind auch Websites ohne Shop von den Auflagen betroffen, möglicherweise auch private Websites?

Wie eingangs erwähnt, sind nicht alle Webseiten von dem BFSG betroffen. Es ist in dem Gesetz klar definiert, welche Dienstleister das BFSG in Bezug auf ihre Webseiten betrifft. Dies sind insbesondere Webseiten, die Personenbeförderungsdienste im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr mit Ausnahme von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten betreffen. Private Webseiten fallen daher nicht unter die Auflagen des BFSG.

Wie wird die Umsetzung kontrolliert und werden ggf. Bußgelder o.ä. fällig, wenn eine regelkonforme Umsetzung nicht erfolgt?

Die Marktüberwachungsbehörde des jeweiligen Bundeslandes ist der „Wächter“ in Bezug auf die Umsetzung der Bestimmungen des BFSG durch die vom Gesetz betroffenen Wirtschaftsakteure. Die Bundesländer prüfen aber gerade, ob eine gemeinsame Marktüberwachungsbehörde der Länder positioniert wird.
Das Vorgehen im Falle einer Nichtumsetzung ist klar geregelt. Bei einer Dienstleistung, beispielsweise eines Onlineshops, und einer trotz erster Ansprache nicht erfüllten Barrierefreiheit, hat die Marktüberwachungsbehörde den Wirtschaftsakteur zunächst erneut zur Herstellung der Konformität aufzufordern. Reagiert der Wirtschaftsakteur auch auf die zweite Ansprache nicht, kann die Marktüberwachungsbehörde die Einstellung der Dienstleistungserbringung anordnen.
Zusätzlich zu den ergriffenen Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit kann die Marktüberwachungsbehörde auch ein Bußgeld verhängen. Ein Verstoß kann mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro geahndet werden. § 36 BFSG enthält einen Katalog der Pflichtverstöße, aufgrund derer ein Bußgeld verhängt werden kann.
Zu beachten wäre in diesem Zusammenhang aber auch, dass ein Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem BFSG fehlende Barrierefreiheit auch eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung durch einen Konkurrenten oder durch zugelassene Verbände mit sich bringen kann.

Gibt es offizielle Stellen, durch die man prüfen lassen kann, ob alle Auflagen erfüllt worden sind?

Eine solches Prüfungsangebot sieht das BFSG nicht vor. Einzig geregelt ist ein Beratungsangebot über die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit. Einige Organisationen haben aber Tools entwickelt, mit denen entsprechende Prüfungen vorgenommen werden können. Eine dieser Organisationen ist das World Wide Web Consortiums (W3C) https://www.w3.org/. W3C stellt auch eine Übersicht über weitere Tools zum Thema Barrierefreiheit unter der URL https://www.w3.org/WAI/ER/tools/ zur Verfügung.

www.ratgeberrecht.eu

Der Beitrag ist ebenfalls erschienen in ProfiBörse 1/25

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