„Es fühlt sich gut und stimmig an“
Nach über drei Jahrzehnten als Geschäftsführer der Lessmann GmbH bereitet sich Dieter Lessmann auf seinen Ruhestand vor. Wir wollten von ihm wissen, ob dies in diesen Zeiten mit einem guten Gefühl passiert und warum er gelassen auf die weitere Entwicklung des Unternehmens blickt, für das er so lange Verantwortung getragen hat.
brushinsignts.de: Sie blicken auf viele Jahre Branchenerfahrung zurück, wie viele Jahre sind dies und gab es darin Situationen wie die jetzige?
Dieter Lessmann: Mein Einstieg als Geschäftsführer unserer GmbH war der 1.7.1990 – dieses Jahr werden es also 35 Jahre sein, in denen ich zusammen mit meinem Bruder das Unternehmen leite.
Wenn Sie mit der jetzigen Situation die großen Unsicherheiten, ausgelöst durch die Trumpsche Regierung meinen: Unsicherheiten gab es immer wieder. Denken Sie an den Mauerfall, das war genau zu Beginn meiner Tätigkeit. Nach der anfänglichen großen Freude kamen einige schwierige Jahre – 1993 und 1994 mussten wir kurzarbeiten, für 6 Monate standen am Montag und Freitag alle Maschinen.
Anfang der 2000er Jahre brach der neue Markt zusammen, auch das erzeugte massive Turbulenzen. 2009 mit der Finanzkrise wussten viele nicht wie es weiter geht – man hatte über Monate das Gefühl der Stecker wurde gezogen. Dann Corona 2020/2021. Also, so wirklich neu ist das alles nicht und mit der Erfahrung wird man auch gelassener. Aber dass ein Mensch so was auslöst, ist neu und bedenklich.

Welche Entscheidungen in Ihrer Laufbahn würden Sie als wichtige Wegmarken bezeichnen?
Wir konnten 1996 die Fertigung und den Kundenstamm der Firma Hartmann und Klein übernehmen, damals unser wichtigster Lieferant von Bürsten, welche wir nicht selbst herstellen konnten. Durch diesen Kauf wurden wir sozusagen über Nacht Anbieter des kompletten Sortiments technischer Bürsten. In den 1990er Jahren wurden wir immer wieder gedrängt, unsere Fertigung nach Osteuropa und nach China zu verlagern. Das haben wir bewusst nicht gemacht und uns für eine reine „Made in Germany“-Strategie entschieden. Diese Entscheidung hinterfragen wir regelmäßig und kommen bis jetzt immer zum gleichen Ergebnis. Genauso wie die Entscheidung, uns auf unser Kernsortiment „Werkzeugbürsten“ zu konzentrieren.
Eine weitere Wegmarke war unser Hallenbau 2012/2013. In der modernen 4500 m² großen Halle konnten wir die Fertigung rationell aufbauen, was einen entscheidenden Schub brachte.
Nicht vergessen will ich auch die Markterschließungen im Westen wie im Osten, die nicht nur neue Kunden, sondern viele neue Produkte ins Sortiment brachten. 2016 gründeten wir unsere USA Vertriebsgesellschaft Lessmann Inc.
Dazwischen hat mein Bruder mit neuen Maschinenkonzepten entscheidend dazu beigetragen, dass wir heute qualitativ und preislich auf den Weltmärkten mithalten können.
Vor über 20 Jahren startete der erste duale BWL Student an der DHBW Heidenheim. Mittlerweile bilden wir auch Maschinenbauer, Informatiker und Wirtschaftsingenieure aus, die alle in unserem Unternehmen gebraucht werden.
2010 hatten wir angefangen, professionell die Führungskräfteentwicklung aufzubauen. Das führte zu einem besseren Zusammenhalt im Unternehmen und zu einer stetigen Weiterentwicklung.
Und nicht zuletzt die letzte Entscheidung: Übertragen der Geschäftsführung auf externe Profis. Wobei wichtig ist zu betonen, dass mein Bruder Jürgen Lessmann noch einige Jahre als Geschäftsführer im Unternehmen bleibt.
Gab es Situationen oder Einschätzungen, in oder bei denen Sie – mit dem heutigen Wissen – anders entschieden hätten?
Die Produktionshallen hatten wir immer erstens spät und zweitens meist zu bescheiden gebaut. Da wäre „mehr“ manchmal besser gewesen. Und auch bei uns gab es falsche Annahmen über Märkte, die wir dann doch nicht erreichten, trotz großer Anstrengungen.

Was sehen Sie aktuell als die größten Herausforderungen für Ihr Unternehmen und die Branche?
Für uns und unsere Branche ist das sicher nach wie vor der Fachkräftemangel. Für die meist inhabergeführten Unternehmen der Pinsel- und Bürstenhersteller ist die Nachfolge, also der Generationenwechsel ein großes Thema. Herausgefordert werden wir alle auch durch den übermächtigen Wettbewerb aus China und die Konzentration im Handel und allgemein bei den Abnehmern unserer Produkte.
Über Bürokratie und zu hohe Auflagen für eine Fertigung in Deutschland müssen wir hier nicht viel Worte verlieren, aber das nervt schon gewaltig.
Sie waren auch viele Jahre Vorsitzender des VDPB bzw. im Vorstand, werden Sie Ihre Erfahrung dort weiter einbringen und wo liegen aus Ihrer Sicht die vordringlichsten Aufgaben des Verbandes?
Ich habe mich schon vor einigen Jahren aus dem Vorstand zurückgezogen und mit meinem Ausscheiden als aktiver Geschäftsführer werde ich mich nicht weiter einbringen. Dazu fehlen dann auch die Informationen und die Begegnungen mit den Kollegen.
Die Aufgaben des Verbands werden weiter in der Unterstützung der Mitglieder liegen, sei es bei regulatorischen Fragen, Angebote für Seminare oder Netzwerken. Ich in sehr froh, dass wir den Verband beim FWI unterbringen konnten, dadurch haben wir eine Struktur, die viel ermöglicht.
Wie fühlt es sich an, sich (in der jetzigen Situation) auf den Ruhestand vorzubereiten – was ist dabei die größte Herausforderung?
Es fühlt sich gut und stimmig an, wir haben die Weichen mit unseren Geschäftsführerinnen gut gestellt: Cornelia Kitzsteiner ist seit 1991 in unserem Unternehmen und hat dieses als Vertriebsleiterin maßgeblich mitgestaltet. Seit 1.1.24 ist sie Geschäftsführerin Vertrieb und Marketing. Annamaria Weber begleitet uns seit Februar dieses Jahres und verantwortet die Bereiche Finanzen, IT und Personal. Wir haben ein Controlling- und Berichtswesen, auf welches wir uns verlassen können und das wir (mein Bruder und ich) in unserer Rolle als Gesellschafter auch brauchen. Und außerdem bleibt Jürgen ja noch als Geschäftsführer eine Zeitlang hier! Das ein oder andere Liebgewordene loszulassen, den Kontakt mit unseren Mitarbeitern nicht mehr täglich zu haben, spannende neue Projekte im Vertrieb, IT oder Technik nicht mehr direkt zu erleben – da werde ich mich rein finden müssen. Und nochmal: Ich stehe der heutigen turbulenten Tagespolitik gelassen gegenüber, das beruhigt sich schon wieder. Wirkliche Sorgen bereiten mir die echten Herausforderungen: Der Klimawandel, der Krieg in Europa und die Erosion unserer demokratischen und menschlichen Werte.