Planungssicherheit ist das A und O
Vor knapp anderthalb Jahren haben wir im Interview mit Jasmin und Johannes Keller von den zu der Zeit aktuellen Projekten des traditionsreichen Bürstenherstellers aus Todtnau erfahren, darunter dem Testlauf der 4-Tage-Woche oder der Analyse des ökologischen Fußabdrucks auf Produktebene. Jetzt haben wir nach dem Stand der Dinge gefragt und wollten natürlich auch wissen, wie die aktuelle Branchenentwicklung und die Reaktion des Unternehmens darauf ist. Jasmin Keller gab uns Antworten.
brushinsights.de: Der Testlauf der 4-Tage-Woche ist vermutlich abgeschlossen, wie ist das Ergebnis?
Jasmin Keller: Ja, wir haben unsere 15-monatige Pilotphase abgeschlossen. Dabei muss man wissen, dass wir ein rollierendes System probiert haben. Dies bedeutet, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in der ersten Woche am Montag, in der zweiten Woche am Dienstag und so weiter frei haben. Der Freitag war dabei ein normaler Arbeitstag ohne früheren Feierabend. Die gesammelten Erfahrungen wurden dann nach Abschluss der Pilotphase zusammen mit drei verbindlichen Prämissen, die wir als Geschäftsleitung erfüllt sehen wollten, in einem Gremium von Mitarbeitenden beraten. Diese Prämissen umfassten verbindliche Meeting- und Pausenzeiten und die Beibehaltung des rollierenden Systems. Nach vier Wochen ist sozusagen weißer Rauch aufgestiegen mit dem Ergebnis, dass die Mitarbeitenden weiterhin die 5-Tage-Woche behalten und am Freitag früh ins Wochenende starten wollen. Wir waren von diesem Ergebnis etwas überrascht, aber der Wert des frühen Wochenendes ist gerade bei Mitarbeitenden in der Produktion hoch angesiedelt, höher als ein freier Tag in der Wochenmitte. Für uns bedeutet das jetzt, mit festen Zeiten weiter planen zu können.
Auch wenn man anderes erwartet hätte, ist der Punkt sozusagen geklärt. Wie ist denn das Projekt der Erfassung des ökologischen Fußabdrucks einzelner Produkte weitergelaufen?
Wir haben die Zahlen für das vorletzte Jahr bereits erfasst und veröffentlicht, aktuell läuft dieser Prozess für das Jahr 2023, so dass wir in Kürze auch diese Zahlen veröffentlichen können. Wir sind inzwischen in der Lage, den energetischen Faktor heruntergebrochen auf ein einzelnes Produkt anzugeben, publizieren aber die generelle Bilanz, da es sich bei den Produktwerten immer um eine Rückschau handelt. Dies bedeutet, wir können immer nur den Faktor angeben, den ein solches Produkt im letzten Jahr hatte, sozusagen testierte tagesaktuelle Daten anzugeben, ist derzeit noch nicht möglich. Für die Vermarktung ist dies natürlich ein Manko, hier wären aktuelle Zahlen vorteilhafter. Aber für uns ist es wichtig, diese Bilanzen zu erstellen und wir werden dies weiter verfolgen.
Werden diese Daten denn nachgefragt oder entwickelt sich die Stimmungslage bei Einkaufenden im B2B-Bereich weg von der Frage nach Nachhaltigkeit?
Leider lässt sich immer wieder feststellen, dass die Bedeutung der Ökologie von den wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängig ist. Einkäuferinnen und Einkäufer von Handelshäusern reagieren sicherlich mit ihrer Zurückhaltung bei hochwertigen und nachhaltigen Produkten auf die gesunkene Nachfrage durch Konsumentinnen und Konsumenten. Auch wenn es nach wie vor eine Gruppe gibt, die bewusst einkauft, wechseln doch auch viele ihren Einkaufsort und präferieren den Discount. Dadurch werden insgesamt günstigere Produkte nachgefragt, oft auch Produkte aus fernöstlicher Produktion. Sicherlich spielt auch die insgesamt unsichere wirtschaftliche Situation hier eine große Rolle für das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten, weshalb klarere Aussagen der Politik auch an diesem Punkt hilfreich wären.
Wie entwickelt sich denn aus Ihrer Sicht der Markt aktuell?
Neben der gerade aufgezeigten Entwicklung stellen wir fest, dass immer vorsichtiger und kurzfristiger geordert wird und die bestellten Losgrößen immer kleiner werden. Das verlangt vom Hersteller, seine Lagerbestände hochzufahren, nicht zuletzt deshalb, weil wir Mindestproduktionsmengen benötigen, die aber nicht jedesmal mit einer Bestellung abgenommen werden. Den Rest müssen wir auf Lager legen und hoffen, diese Bestände mit den nächsten Bestellungen abbauen zu können. Selbst bei individuell gebrandeten Artikeln ist ein solches Vorgehen heute an der Tagesordnung. Dadurch mussten wir unseren Lagerbestand in den letzten achtzehn Monaten nahezu verdoppeln. Wir versuchen deshalb, bei gebrandeten Produkten vermehrt mit Rahmenverträgen zu arbeiten, die aber bei den Einkaufenden nicht immer auf Gegenliebe stoßen.
Worin sehen Sie denn neben der Marktentwicklung die größten Herausforderungen für mittelständische Unternehmen?
Da gibt es zahlreiche und viele von ihnen wie die Bürokratisierung sind bestens bekannt. Was aus unserer Sicht oft unterschätzt wird, ist das hohe Maß von Cyberkriminaltität, dem Unternehmen inzwischen ausgesetzt sind. Bestellungen von Fakekunden und Künstlicher Intelligenz sind Dinge, mit denen wir gelernt haben, umzugehen. Unrealistische Mengen und Bestellbedingungen werden bei uns herausgefiltert und überprüft, um hier Risiken zu minimieren. Trotzdem gelingt es Bestellern ab und zu, Ware zu bekommen, die dann oft in Osteuropa auftaucht. Mindestens eine ebenso große Gefährdung geht von Hackerangriffen aus, einem sind wir selber in diesem Jahr ausgesetzt gewesen. Zwar hat unsere Firewall das Schlimmste verhindern können, aber unsere IT stand für sieben Tage still. Da wir in der Produktion noch sehr herkömmliche Verfahren haben, darunter auch das Ausdrucken der Aufträge, konnten wir weiter produzieren. Aber die Logistik und das Rechnungswesen waren lahmgelegt. Die Methoden werden hier immer ausgefeilter und die Frequenz der Attacken immer höher.
Mit welchen Maßnahmen reagieren Sie darauf?
Bei diesen konkret angesprochenen Bedrohungen erhöhen wir unsere Investitionen in die IT-Sicherheit und richten Prozesse ein, Bestellungen noch dezidierter zu überprüfen. Das alles verursacht Kosten, die durch keine Preiserhöhungen gedeckt sind und zu Lasten der Hersteller gehen. Insgesamt versuchen wir, die Fixkosten nicht zuletzt beim Personal zu senken, indem wir die Fluktuation nutzen. Denn unser Geschäftsmodell wollen wir weiter verfolgen.
Und im Markt, wie positionieren Sie sich und wo sehen Sie für Ihr Unternehmen Potenziale?
Auch wenn es in der aktuellen Situation mehr als herausfordernd ist, bleiben wir dabei, uns als qualitätsorientierte und nachhaltige Marke zu positionieren. Klimaveränderung und Biodiversitätsverlust lassen sich nicht wegdiskutieren und wir sehen uns hier als Unternehmen in der Verantwortung. Und es gibt Märkte für diese Positionierung, die wir verstärkt bearbeiten. Zum einen erfordert dies eine verstärkte Internationalisierung, zum anderen das Erschließen neuer Zielgruppen. So arbeiten wir erstmals in der Unternehmensgeschichte mit Distributoren in verschiedenen asiatischen Ländern. dabei hilft uns, dass wir unsere Marken weltweit geschützt haben, so dass die Nachfrage der wachsenden Mittelschichten in Asien nach hochwertigen Markenprodukten uns zugute kommt. Diese Märkte weisen aktuell eine deutlich höhere Dynamik auf als die europäischen. Beim Erschließen neuer Märkte sticht derzeit vor allem der Markt für Tierbürsten und -accessoires heraus. Während an der „eigenen Wellness“ gespart wird, steigt der Bedarf nach „Tierwellness” und ökologischen Produkten in diesem Segment kontinuierlich. So konnten wir bei unserer ersten Präsenz auf der Interzoo direkt ein großes Interesse verbuchen und gehen auch mit positiven Erwartungen in Kürze zur Cosmoprof North America in Miami. Die nachfolgende Generation geht hier Wege, die vielversprechend sind.
Wie könnte eine Hilfestellung durch die Politik innerhalb dieser Rahmenbedingungen aussehen?
Ganz abgesehen von Detaillösungen oder Einzelmaßnahmen wäre ein Stück Kontinuität und Verlässlichkeit der Entscheidungen von großer Bedeutung. Dies würde Unternehmen helfen, wieder planen zu können und das Konsumklima im Land wieder verbessern. Damit wäre schon viel geholfen.