Solide Grundlage geschaffen
Demographie live: In der Pinsel- und Bürstenindustrie ist der Generationswechsel in zahlreichen Unternehmen im vollen Gange. Deshalb lesen Sie an dieser Stelle ein zweites Interview, nach dem mit Dieter Lessmann in der letzten Ausgabe, zu diesem Thema. Andreas Rauh, geschäftsführender Vorstand der BÜMAG eG in Schönheide, verlässt nach über 40 Branchenjahren das Unternehmen. Auch ihn haben wir nach seinem Blick auf die Branche und die Perspektiven gefragt.
brushinsights.de: 40 Jahre in der Branche: Was ist heute anders als vor vier Jahrzehnten?
Andreas Rauh: Tatsächlich sind es fast 42 Jahre. 1983 startete ich nach meinem BWL-Studium beim VEB Bürstenwerke Schönheide (BWS-Flamingo), in demselben Gebäude, in welchem ich jetzt mein „Bürstenleben“ wieder verlasse, als Bereichsleiter Produktion Pinselfertigung. 1987 verließ ich BWS und heuerte bei der Genossenschaft der Bürsten- und Pinselmacher (BÜMAG) an. Damals, vor 38 Jahren, war die BÜMAG mit noch 45 Mitgliedsfirmen hauptsächlich Materialbeschaffer für ihre Mitglieder. In der DDR war vieles rationiert, die volkseigene Wirtschaft hatte Vorrang und der private Sektor, zu welchem die BÜMAG zählte, musste sehen , wo sie blieb. Der Verkauf lief als Selbstläufer: Alles, was aus dem Export in die kapitalistische Welt und in die Sowjetunion übrig blieb, nahm der DDR-Handel mit Kusshand ab. Ich brauche nicht weiter zu erzählen, heute ist es genau andersherum.

Sie haben die Wende- und Nachwendezeit als Leiter eines „Ostunternehmens“ erlebt, welche Unterschiede gab es damals zur heutigen Situation?
Geschäftsführender Vorstand der BÜMAG wurde ich erst am 01.05.1990, also nach der Wende. Die meisten Handwerksbetriebe wollten die neue Freiheit nutzen und jetzt ihr „Ding“ alleine machen. Andere waren ratlos und kurz vor dem Aufgeben. Erstere haben schnell festgestellt, dass sie mit ihrem eingeschränkten Sortiment auf verlorenem Posten stehen würden und dass wir nur gemeinsam etwas schaffen können. Alle sind damals geblieben und wir konnten uns auf die neuen Anforderungen des Marktes einstellen. Da alle unserer Mitglieder private Firmen sind, wie die BÜMAG auch, hatten wir nicht die Umwandlungsprobleme, wie die damalige volkseigene Wirtschaft.
Mittlerweile haben viele Unternehmen altershalber aufgehört. Die Verbliebenen haben sinnvolle Produktionen und Sortimente übernommen. Heute produziert die BÜMAG in einer genossenschaftseigenen Produktion das größte Volumen. Für die verbliebenen Mitglieder übernehmen wir, wie in der Vergangenheit, die Materialbeschaffung, den Vertrieb, das Marketing, das QM usw. und die wiederum produzieren einen Teil des Gesamtsortimentes der Genossenschaft.
Wie kam es zur Gründung der BÜMAG, ist das Genossenschaftsprinzip – wie man heute sagen würde – resilienter gegenüber den Herausforderungen des Marktes und der wirtschaftlichen Entwicklung?
Die BÜMAG wurde 1946 gegründet. Es schlossen sich damals über 100 Bürstenmacher, meist Einzelkämpfer, zusammen, um ihre Materialbeschaffung sicherzustellen. Die nach dem Krieg entstehende Industrie wurde bevorzugt behandelt und als einzelner Handwerker hatte man kaum Chancen an Borsten, Rosshaar, Draht usw. zu gelangen. Schauen Sie sich unseren Imagefilm auf der Seite www.buemag.de an. Dort wird dies ausführlicher erläutert.
Ich kann nicht sagen, ob eine Genossenschaft resilienter ist als eine andere Kapitalgesellschaft. Sie ist ein Gebilde von gleichberechtigten Partnern, in der jeder gleichberechtigt eine Stimme hat, unabhängig von der Höhe seiner Anteile und sie weckt keine Begehrlichkeiten am Vermögen der Genossenschaft beim Ausscheiden. Man bündelt die Stärken des Einzelnen und tritt nach außen gemeinsam auf. Die Zentrale übernimmt die Aktivitäten am Markt. Gemeinsamer Einkauf von Material, Vermarktung , Qualitätsmanagement, Unterstützung bei Investitionen usw.. Die Mitglieder konzentrieren sich auf ihre Produktion nach Anforderung der Kunden der BÜMAG. Es arbeiten mehrere überschaubare selbstständige Einheiten zusammen, jeder achtet auf sich und gemeinsam vermarktet man ein volles Sortiment. Übrigens steigt die Zahl der Neugründungen von Genossenschaft in Deutschland und aus Erbschaftsgründen auch die Umwandlungen in Genossenschaften. Weitere Erklärungen hierzu gerne, das würde aber jetzt zu weit führen.
Wäre aus Ihrer Sicht die Existenz der Bürstenmacher in der Region ohne die Genossenschaft möglich gewesen und hat sich die besondere Situation der BÜMAG als Hersteller und Genossenschaft bewährt?
Das eingeschränkte Sortiment des Einzelnen, bzw. die Spezialisierung auf eine bestimmte Technologie schränken die Markfähigkeit ein. Damit hätten es die Firmen auf dem freien Markt sicher sehr schwer, der Kreis der Abnehmer wäre sehr eingeschränkt, man wäre nur als Zulieferer anderer Hersteller geeignet. Die aufgezählten Vorteile der Genossenschaft können natürlich auch zum Nachteil werden. Unsere Mitglieder sind in der Regel schon Betriebe in der vierten Generation, welche seit vielen Jahren Mitglied sind. In dieser Zeit wurde die Spezialisierung auf bestimmte Technologien bewusst gefördert (z.B. Drehware, Fußabtreter, usw.) Nur als Zulieferer und Einzelkämpfer hätten viele sicher den Schritt aus der Planwirtschaft heraus in die Markwirtschaft nicht überlebt.
In der Genossenschaft sind sie Miteigentümer. Trotzdem war das Hauptproblem die Sortimentsvielfalt. Dabei kam uns die Übernahme der Bürstenwerke Schönheide sehr gelegen, welche 1991 von der Treuhand an einen Dortmunder Banker verkauft worden war. Dieser fuhr den Betrieb 1994 in die Insolvenz und die BÜMAG kaufte den Scherbenhaufen. Damit hatten wir als Genossenschaft eine große Eigenproduktion mit Vorstufenproduktionen für die Großmengenfertigung. Ein weiterer Punkt, die Genossenschaft und damit auch die Mitglieder zu stärken. Heute sind wir in Schönheide der größte Arbeitgeber.

Für viele mittelständische Unternehmen ist die Nachfolge an der Spitze ein großes Problem, ist dies bei einer Genossenschaft anders?
Nachfolge ist schon ein großes Problem. Früher kamen die neuen Vorstände der Genossenschaft meist aus den Reihen der Mitglieder. Seit der Wiedervereinigung ist dies nicht mehr so aktuell. Ich habe mit Übernahme der Produktion von BWS ein junges Team von Angestellten und Mitarbeitern aufgebaut, engagiert, bodenständig, heimatverbunden. Mein designierter Nachfolger, Herr Stev Schumann ist nun schon seit über zehn Jahren im Unternehmen und ist verantwortlich für Technik, Qualitätsmanagement und vieles andere mehr. Seit über einem Jahr als Prokurist wird er das Unternehmen weiterführen. Ab dem 01.07.2025 werde ich ihm die Verantwortung für das Ganze überlassen.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Branche und des Standortes, was sind aus Ihrer Sicht entscheidende Voraussetzungen für den erfolgreichen Fortbestand?
Die Branche und der Standort im Erzgebirge sind seit 200 Jahren verbunden. Ich wünsche mir natürlich, dass auch unsere Enkel und Urenkel noch Bürsten hier produzieren. Die BÜMAG und auch alle anderen Berufskollegen an unserem Standort sind technisch gut ausgerüstet und werden sich sicher auch in der Zukunft behaupten. Entscheidend für den Standort Deutschland insgesamt wird sein, welche Entscheidungen die neue Regierung treffen wird. Wenn man weiter damit fortfährt, uns unsere Wettbewerbsfähigkeit zu nehmen, werden unsere europäischen „Kollegen“ und die Asiaten weitere Marktanteile bekommen.
Besonders der Handel muss lernen, dass es kurzsichtig ist, wegen weniger Cent Preisvorteil deutsche Produkte von Importeuren kopieren zu lassen. Nur dann, wenn im Land Geld verdient wird und Löhne gezahlt werden hat man auch Konsumenten!
Die Bürstenherstellung wird jedoch gebraucht und deshalb wird der Standort auch überleben. Ein bisschen Nationalstolz wäre generell aber wichtig und nicht nur dahergeredete Lippenbekenntnisse.
Was stellt für Sie (persönlich) die größte Herausforderung im beginnenden Ruhestand dar?
Grosse Herausforderungen sehe ich im Moment nicht. Ich liebe meine Heimat, das Erzgebirge. Ich habe eine intakte Familie und mittlerweile vier Enkelkinder, welche gerne mit ihren Großeltern zusammen sind. Dazu ein Haus mit großem Grundstück in einer Traumlage, einen Hund und viele Ideen, wovon die eine oder andere vielleicht verwirklicht wird.
In der letzten Ausgabe dieses Newsletters war ein Interview Dieter Lessmann zu lesen, der ebenfalls jetzt in den Ruhe- oder Unruhestand geht. Meine Sorgen sind die gleichen, wie bei ihm. Krieg in Europa, im mittleren Osten und in vielen anderen Gebieten machen mir schon Sorgen, speziell natürlich für die nachfolgenden Generationen. Dazu politische Inkompetenz oder besser gesagt fast Rückkehr in den Feudalismus in einer überdigitalisierten Welt mit immer neuen kriminellen Methoden. Das Leben ist doch analog viel schöner und dies hoffe ich noch viele Jahre bei bester Gesundheit mit allen, die mich mögen und die ich mag, genießen zu können. Meinen Nachfolgern wünsche ich das Glück des Tüchtigen, eine solide Grundlage dafür haben wir in den letzten 35 Jahren geschaffen.