Lebendige Geschichte
Es gab Zeiten, da kam ein großer Teil der in Deutschland gefertigten Bürsten aus dem kleinen Schwarzwaldstädtchen Todtnau. Die große Bedeutung der Bürstenproduktion und des sich dadurch entwickelnden Maschinenbaus macht das Bürstenmuseum Todtnau anschaulich nachvollziehbar. Es lohnt sich also, das Skifahren oder Wandern mit einem Museumsbesuch zu verbinden.
Ralf Andreas Thoma, selber Sproß einer Familie, die eng mit der Bürstenherstellung in Todtnau verbunden war, hat gemeinsam mit Benno Dörflinger, ehrenamtlicher Stadthistoriker der Schwarzwaldgemeinde, das Konzept für das Museum entwickelt, das nach einigen Anlaufschwierigkeiten im Vorfeld der Konzeptionierung im September 2020 eröffnet werden konnte. „Mit der Konzentration auf die Bürstenindustrie ist es uns gelungen, ein tragfähiges Ausstellungskonzept zu entwickeln“, berichtet Thoma.
Die aktuelle Dauerausstellung gliedert sich dabei in zwei Bereiche: die Manufakturphase und die Industrialisierungsphase. Im Rahmen der Ausstellung zur ersten Phase erfährt man, dass die serielle Fertigung von Bürsten im Jahr 1770 startete. Ob der Müllergeselle Leodegar Thoma, der als Begründer der Bürstenindustrie in Todtnau gilt, schon die Fließbandfertigung im Blick hatte und Henry Ford durch ihn inspiriert wurde, lässt sich geschichtlich nicht belegen. Auf jeden Fall war es Thoma’s Idee, den Fertigungsprozess einer Bürste in einzelne Schritte und Zuständigkeiten zu zerlegen. So wurde aus der Beschaffung der Borsten ein eigenständiges Gewerk, aus dem Zuschneiden der Holzkörper, aus der Aufbereitung der Borsten, aus der Montage der einzelnen Elemente und auch aus dem Vertrieb. Durch dieses Prinzip wurde die Bürstenfertigung in Todtnau, die halb in Heimarbeit, halb in Fabriken erfolgte, zu einem florierenden Geschäft, nachdem der Silberbergbau, der früher die wirtschaftliche Grundlage der Schwarzwaldgemeinde sichergestellt hatte, zum Erliegen gekommen war.
Namensvetter Ralf Andreas Thoma präsentiert im Manufakturraum des Museums die Produkte und die Arbeitsweisen der damaligen Zeit, beherrscht selber auch das Einziehen der Borsten und weist mit interessanten Kommentaren auf die Schmuckstücke jener Epoche hin: die ersten Bürsten mit Stirneinzug, der auch heute noch praktiziert wird, Bürsten mit Kappen aus Silber oder das Bürstenset der Großherzogin Luise von Baden. Auch die Plakate und Urkunden zur Weltausstellung 1873 in Wien, auf der die Todtnauer Bürstenhersteller mit einem Gemeinschaftsstand vertreten waren, verdienen die Erwähnung.
Ein zweiter Museumsraum, ein neues historisches Kapitel, das eine eigene Dynamik nach Todtnau brachte: Mit dem Aufkommen der maschinellen Fertigung geriet die klassische, wenn auch bestens organisierte Fertigungskette unter Druck. Ein entscheidender Schritt für die Zukunftsfähigkeit der Todtnauer Unternehmen war das Engagement von Anton Zahoransky sozusagen als Automatisierungsbeauftragter der Firma Faller in Todtnau. Seine Entwicklungen zunächst als Mitarbeiter, dann als selbständiger Maschinenbauer haben die gesamte Branche weiterentwickelt. Neben den Maschinen aus der Zahoransky-Frühzeit sind in diesem Ausstellungsraum auch die Maschinen von Gottlieb Ebser zu finden – anderes Design, anderer Ansatz und schon mehrfunktional. Das Ziel war bei beiden Maschinenbauern identisch: eine höhere Stückzahl gegenüber der Handfertigung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Ansatz brachte den Maschinenbauern in Todtnau nicht nur Freunde. Aber die Unterstützung der großen Firmeninhaber sorgte dafür, dass der Fortschritt in Todtnau einzog und die Unternehmen erhalten blieben. Die nachfolgenden Jahrzehnte brachten Stückzahlen: Kunststoffe hielten Einzug, Verfahren wurden weiter verbessert, 100.000 Zahnbürsten für eine intensiv beworbene Marke wurden pro Tag in Todtnau hergestellt. Heute sind noch fünf Bürstenmacher-Unternehmen in Todtnau aktiv, für die Stadt nach wie vor ein wirtschaftlicher Faktor mit Gewicht.
Die ganze Geschichte: Von den Hölzlemachern bis zu den Fertigungsstraßen zeigt das Bürstenmuseum in Todtnau in Ausstellungsstücken und mit Hilfe von Videoclips die Entwicklung der Bürstenindustrie an diesem Platz im Schwarzwald. Insgesamt zehn Museums-Guides nehmen die zwischen 600 und 800 Besucherinnen und Besucher pro Jahr, zum überwiegenden Teil Touristen im Rahmen ihres Urlaubs, in Empfang und führen sie individuell durch die beiden Ausstellungsräume. „Jeder der zehn Guides hat einen anderen Hintergrund und damit einen anderen Blick auf die Bürsten“, erklärt Ralf Andreas Thoma, „das macht jede Führung individuell und authentisch.“
Pro Jahr melden sich zwischen 20 und 25 Gruppen zu Führungen in dem mittwochs und sonntags geöffneten Museum an, aber auch viele Individualbesucherinnen und -besucher kommen in die Ausstellung. Denn regelmäßig macht der Trägerverein in Newslettern an die Vermieter von Ferienunterkünften und Hotels auf das Museum aufmerksam, unterstützend kommen die Social-Media-Aktivitäten und die Zusammenarbeit mit dem Schwarzwald-Tourismus hinzu. „Immer wieder können wir auch Teams verschiedener Fernsehsender bei uns begrüßen, von ZDF über Arte bis hin zu Spiegel-TV“, freut sich Ralf Andreas Thoma.
Dass sich der Verein als Träger des Museums dafür entscheiden hat, keinen Eintritt für die Ausstellung zu verlangen, bewertet Ralf Andreas Thoma als positiv: „Jede Besucherin und jeder Besucher dürfen eine freiwillige Spende geben, das ist übers Jahr gesehen mehr, als mit einem Eintritt zu erzielen wäre“, erklärt er. Dazu kommt der museumseigene Bürstenkiosk, in dem handgemachte Bürsten erworben werden können. Zusammen mit den Mitgliedsbeiträgen und Fördergeldern von Sponsoren ergibt das ein rundes Konzept für die Tragfähigkeit des Bürstenmuseums in Todtnau. Aber ohne das hohe Engagement der Museums-Guides wäre dies alles nicht denkbar und ein interessantes Stück Industriegeschichte würde in Vergessenheit geraten.